Sollen in der Grafschaft Mark die lutherische und die reformierte Synode vereinigt werden? – Vortrag von Pfarrer Johann Gerhard Adalbert Hennecke 1817, Pfarrer in Lütgendortmund und Superintendent des Kirchenkreises Bochum
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Ueber die Vereinigung der lutherischen und reformierten Synode?
Als der herrliche Landgraf Philipp von Hessen am 2ten October 1529 das Colloquium zu Marpurg veranlaßte, hatte er keine geringere Absicht, als die Schweitzer- und Wittenberger Theologen wegen des aufgestandenen Abendmahlsstreites auszusöhnen. Nach seinem Willen sollte der Evangelische Bund sonder Zwist und Trennung in sich selbst so weit umfassend als möglich werden. Daher ging die Uneinigkeit zwischen Luther und Zwingli seinem edlen Herzen nahe. Doch nicht immer ruft der Edlen Wille zur That. Vergebens hatte er an diesem Tage eine Aussöhnung gehoft. Während Luther fest auf seinem: „Das ist mein Leib stand“, behauptete Oekolampadius: Das Fleisch sei kein nütze. Und so verstrich der 2te October, und mit ihm die gehoffte Aussöhnung. Nichts destoweniger wollte der Landgraf, wenn er auch die Köpfe nicht vereinen konnte, doch die Herzen aussohnen. Hiezu setzte er den folgenden 4ten October fest. Zwingli sagte beim Eintritt in die Versammlung mit weinenden Augen: „es wäre niemand auf Erden mit dem er lieber ausgesöhnt seyn wollte, als mit den Wittenbergern, und wünschte sehnlich: daß Luther die Andern als Brüder aufnehmen sollte“ Allein der harte Sinn des eifrigen Mannes
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setzte auf diesen schönen Wünschen der Gegenparthei einen festen Damm entgegen. Und so blieb es, wenn auch in etwa modifizirt durch die Zeit, wie es war, bis auf diese Stunde.
Die dritte Säkularfeier des wiederhervorgebrochenen Glaubenslichtes naht heran, und läßt in den Herzen vieler reformierten und lutherischen Theologen, so wie ihrer beiderseitigen Glaubensbekenner das wieder zum lauten Wunsche und zur lebendigen Hofnung werden, was auf dem Colloquio zu Marburg unerfüllt blieb. Diese Partheien, so ursprünglich eins, nur durch eine zufällige Ansicht im Laufe der Reformation getrennt, sollen und müssen wieder geeint werden, so denkt, wünscht und hofft der vernünftige Theologe der beiderseitigen Parthei. Dieser Verein würde dem aufgeklärten Jahrhundert, in welchem wir leben, eben so viele Ehre machen, als er ein verstärktes Bollwerk gegen jede eindringende profane Kraft von Aussen wäre. In Strenge muß zusammenhalten, was sich als Licht vom Dunkel der Zeit schied, damit mächtig die Scheidewand bleibe zwischen diesem
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und jenem. Beim Gedanken an dieses herrliche Beginnen, stehen zwei natürliche Fragen auf, und wünschen als Einleitung und Grundlage zum Ganzen beantwortet zu werden.
- Wodurch sind die Partheien getrennt?
- Wodurch werden sie wieder geeint?
Was die erstere Frage anbetrifft, so kann die Scheidewand, welche beide Confessionen trennt, als bedeutend oder unbedeutend angesehen werden, nur kommt es hier darauf an, ob man sie wegnehmen oder lassen will! Soll sie weggenommen und so die verschiedenen subjektiven Ansichten, welche die Trennung darstellen, dadurch weggeräumt werden, so begegnen sich die Köpfe, wie feindliche Pole; so lehrt es die Erfahrung so die Geschichte, auch dann wann es nur unbedeutende Zwistigkeiten und Differenzien in Glaubenssachen anbelangt. Mir fällt hiebei ein, was Forster in seinen Anmerkungen zur Uebersetzung von Vollney’s Ruinen sagt: „Wenn
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sich zwei der eine von der Sekte Omar’s der andere von der Sekte Ali’s begegnen, und dieser die Reinigung beim Ellenbogen, jener bei den Fingerspitzen anfängt, so sind sie Todtfeinde.“ In Glaubenssachen wird heftiger um ein unbedeutendes Besitzthum gekämpft, als in den Angelegenheiten des Mein und Dein. Und daher dürfte das schöne Werk der Vereinigung leichter scheinen als werden. Was in der Idee hier leicht schein, könnte als Ausführung schwer werden. Man messe die Aufklärung unter Protestanten und Reformirten nicht mit dem Maasstabe, der vielleicht für die hiesige Provinz gelten kann. (Und wenn auch die Aufklärung beider Partheien so wirklich da ist, so tritt hier ein gewisser Egoismus ein, welcher nicht gerne das System, dem er geschworen hat, auch selbst dann nicht, wenn er es der Verbesserung fähig hält, aufopfert.) Nicht alle Gegenden nah und fern, wo beide Partheien leben, sind von einem gleichen Lichte der Aufklärung und Toleranz erleuchtet. Exempla sunt in promptu, sed odiosa.
Die Scheidewand, welche da trennt, wird aber unbedeutend, wie jetzt bleiben, wenn beide Partheien, in ihrem coordinirten Verhältniße, jedoch unangetastet, bleiben.
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So soll es aber nicht seyn, und deswegen soll mit der Vereinigung der beiderseitigen Synoden begonnen werden!
Man vereine nur erst die Meinungen (der Ausdruck Meinung in diesem Begriffe könnte diese vielleicht manchem hart scheinen allein er stehe doch hier in der Kantischen (?) Definition.) und dann die Synoden, sonst entsteht ein […], und vielleicht das nicht mal. Zehn Köpfe beider Partheien, die da ohne Discussionen eins werden, haben hundert Antagonisten neben sich stehen. Mögen immerhin hier und dort Prediger beider Confessionen im genausten Vereine leben, bei feierlichen Gelegenheiten auch das Abendmahl zusammengeniessen, sich in ihren Amtshandlungen unterstützen, man schliesse hier nicht durch Induction. Dies alles sind nur vielleicht erst reuliche Zeichen der Zeit und Gestirne von guter Vorbedeutung dessen, was da kommen soll.
Da nun nach meiner bescheidenen Meinung erst die Glaubensdifferenzien beseitigt seyn wollen, ehe eine Synode im gewünschten Sinne zusammen kommen kann, so fragt sich, worin bestehen diese:
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Die Lehre vom Abendmahl, ist wie bekannt ist, fast wohl das einzige Dogma, was die beiden Partheien getrennt hat, und noch trennt. Also zunächst dies:
Man sollte billig (so fordert es die Vernunft) über keinen Gegenstand mit Heftig streiten, über den bereits soviel gestritten ist, und der wie die Erfahrung gezeigt hat, so vieler subjektiven Ansichten fähig war. Alles was über die Lehre vom Abendmahle gesagt ist, und noch gesagt ist, muß da es alles subjektiv ist, zu Partheien und somit zum Streite veranlassen. Als Christus gestorben war, starb mit ihm seine Religion. Seine göttliche Kraft der Lehre konnte wohl von den Gemüthern der Seinigen aufgefaßt, aber nie von ihnen so rein wiedergegeben werden, als er sie selbst wiedergab. Daher sagt Lessing sehr schön: Ganz etwas anders ist es Religion Christi und christliche Religion. So wird es auch mit dem Abendmahle seyn. Ich meines Theils glaube wenigstens nicht: daß Christus seine Ideen, bei irgend einer Parthei, welche der alles spaltende Verstand aus seiner Lehre
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gebildet hat, wiederfinden würde. So auch nicht die Ideen von der Abendmahlslehre. Ohne der verschiedenen Ansichten der früheren Jahrhunderte vor Luther zu gedenken, welche über diese Lehre statt gefunden haben, wozu auch hier der Ort nicht ist, faßte der große Reformator dieses Dogma nach seinen supranaturalistischen Begriffen auf. Er hielt sich an den Worten; daher er auch auf dem Colloquio zu Marburg die Worte: „Der ist mein Leib“ vor sich auf die Tafel schrieb, um sie nicht nur gleichsam mit der Seele, sondern auch mit den Augen festhalten zu können. Der große Reformator ist indessen wegen seiner grellen Ansichten zu genau bekannt, als daß es nöthig wäre, auch in diesem Punkte seiner umständlicher zu gedenken.
Zwingli und nach ihm Calvin sagten: „Der Leib Christi ist im Himmel, daher kann er nicht auf der Erde seyn. Sie legten dem Genuße des Abendmahls (was auch vernunftgemäßer war) blos eine geistige Kraft bei, und waren mit Recht Luthers Gegner. Ueber
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Hostie oder Brod und den Worten bei ihrer Ueberreichung im 2ten Punkte ein Mehreres.
Was das Vater unser anbelangt, so haben die Reformirten, wie genügend bekannt ist, den verständigern und unserer Sprache angemeßenern Sinn aufgefaßt. Die Gewohnheit, mit ihrer allgewaltigen Kraft läßt uns jetzt das Sprachwidrigklingende, was in diesen Worten liegt nicht mehr hören. Aber denken wir nur einen Augenblick darüber nach, und das Unangenehme wir sich uns in seinem ganzen Umfange vernehmen lassen. Wenn wir den Franzosen nicht nachsagen wollen: ich habe gewesen, so dürfen wir auch den Griechen nicht nachsagen „Vater unser“, und schon Luther hat ja: Unser Vater [Satz unvollständig]
Wir finden hier aber kein Dogma, sondern nur eine zweifache Uebersetzung. Die Vulgata hatte pater noster. Nach dieser ist es uns zugegeben. Wir können dieser Wendung
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das Wort nicht halten, oder wir hätten auch dann die Freiheit eben so kühn sagen zu können: „Geheiligt werde der Name dein“ Es komme das Reich dein. So forderte es dann analogisch der Urtext. Um diesem Unterschiede abzuhelfen, dürfte es also das zweckmäßigste seyn: mit den Reformierten „Unser Vater“ zu sagen. Ein jeder luth. Religionslehrer, welcher den Unterschied zwischen den verschiedenen Glaubenspartheien, mit Schonung seiner Catechumenen vorträgt, wird auch nicht vergessen, das passendere „Unser Vater“ gelegentlich auseinanderzusetzen.
Wollen wir aber noch einen dritten Weg, und zwar mitten durch gehen, woecher die partheien rechts und links liegen läßt: so könne wir schlechtweg sagen: „Vater der du bist im Himmel“ der deutsche bedarf im anredenden Falle bei dem Worte Vater des besitzanzeigenden Fürwortes: mein, unser etc. nicht.
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Derjenige, welchen ich als Vater anrede, muß es wirklich seyn, oder dafür gelten. Und dann wäre das ημών des grisch. Textes mit übersetzt.
An die Lehre von der Gnadenwahl wird kein Reformirter mehr glauben, weil sie eben so wenig die nöthigen Beweise für sich hat, als sie dem menschlichen Verstande und der Güte Gottes analog ist.
Daß die reformirten Prediger nicht so sehr an die von Alcuin eingeführten Sonn- und Festtäglichen Perikopen gebunden sind, als wir, kann im Ganzen unbedeutend seyn. Auch auf dem Lande wo die Verbindlichkeit diese zum Grunde des Vortrages zu nehmen, noch gegenwärtig in etwa strenge ist, fängt man doch an, hin und wieder davon nachzulassen, und sich der Freiheit, Texte zu wählen zu bedienen. Doch wie Alles unter dem Gesichtspunkte der Betrachtung zwei Seiten giebt, so auch dies. Hierhin gehört auch der bereits antiquirte
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Punkt, mit der veränderten und unveränderten Augsburger Confession.
Dies wären, mit wenigem gesagt: die Unterscheidungspunkte zwischen beiden Partheien. Welches sind nur
- die Mittel zu ihrer Wiedervereinigung?
Daß beide Partheien nothwendig den beßten Willen zum guten Zwecke zu gelangen, zeigen müssen, ist vorab zu bemerken. In Liebe muß sich wieder vereinigen, was zweifache Ansichten und Zufall getrennt hat. Im Geiste eins nur durch einige unbedeutende Formen geschieden, können beide Confessionen auch hierin wieder eins werden, wenn beide nur wollen und kräftig wollen.
Was das Abendmahl anbetrift, so wird keiner der beiden Partheien in ihm den wahren Zweck Jesu verkennen: nämlich ein Bundesmahl das auf den Grund jüdischer Vorstellungen von der Versühnung durch Blut gegründet, seinen Opfertod darstellte, und das uns nun ein Tugendmittel geworden ist, durch welches wir uns stärken sollen, zu dem
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wo wir hier auf Erden bestimmt sind. Kein Weiser der Vorzeit, hat uns ein stärkerendes Denkmahl auf der Bahn dieses Lebes hinterlassen. In seelenvoller Größe und Heiligkeit steht es da, und die Form an ihm kann nur etwas Untergeordnetes seyn.
Mir deucht daher auch: daß die Worte „das ist mein Leib“ besser verstanden würden, dann, wenn wir uns die begeisterte aber auch gewiß höchst schwermüthige Stimmung lebendig denken, in welcher Jesus das Abendmahl unter seinen Elfen einsetzte. Mir deucht, dann hörten wir den Göttlichen die Worte sprechen: „Das ist mein Leib“. Der Verstand darf hier seine Rechte nicht geltend machen. Denn ihm ist dieser Sinn nicht verständlich, nur das begeisterte Gefühl kann hier einen Anspruch thun, wo keine explicatio authentica mehr einzuhalten ist.
In einer Stunde, wo ihm der Tod so nahe war, konnte er nur von den [Seiten fehlen?]
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Und da nun der Name Lutheraner und Reformirte auch etwas zur Sache thut, so lasse man beide fallen, und wähle einen dritten. Und dieser ist die Evangelischen so denn die evangelische Kirche. Diese Benennung ist weniger eckigt (?), andern Partheien minder anstößig und spricht auch einen Sinn aus, dessen Höhe (?) nicht zu vertun ist (?). Daß über einen solchen wichtigen Act, wie der vorliegende ist, mehr gehandelt, als geschrieben und gesprochen werden muß, ist unbezweifelt. Er soll mit wenigen Worten viel Epoche in der Kirchengeschichte machen die Gott sey’s in dem letzten Jahrhundert, nicht viel von Synoden, die denen zu Chalzedon, Ephesus, Trident etc. ähnlich sind, redet.
Mit diesem ersten Lichtstrahle einer wirklichen Vereinigung der Partheien, wird es dann auch heller werden, in betreff dessen, was man jetzt Verbesserung des protest. Cultus nennt. Wir stehen über diesen in unsern Tagen vielbesprochenen und noch zu behandelnden Gegenstand auf einem schlüpfrigen Standpunkte. Viel Schritte vorwärts kann ich nicht mehr sehen. Viel neue Formen sind nur viel neue Gewänder. Auch sie veralten. Doch deucht mir: daß es besser wäre
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einige Schritte zurück zu thun. So einfach und anspruchslos wie die Vereinigung der Partheien […] vor sich geht, werde auch das Neue im Kultus begonnen.
Das Reformationsfest bietet nicht nur die schönste Gelegenheit sondern auch den reinsten [..] hierzu dar. Gehen wir in jene einfache Zeit zurück, wo reiner ungeschminkter Sinn die Wahrheit auffaßte und auf den Thron setzte. Hier finden wir den reinen Anlaß zu der besten Form. Sie liegt in der Bibel. Sie sei und bleibe Hauptaugenmerk bei der Reform oder vielmehr bei der Verbesserung des Cultus. Derj. Staat welcher durch ein weises Gesetzbuch regiert wird bleibt der beste und der glücklichste, so sei die Bibel dem Willen Luthers gemäß, das Gesetzbuch dieses unsichtbaren Staates. Die reine ewige Wahrheit, als Grundlage des Glaubens wird nirgends in einer einfacheren und heiligern Sprache geredet, als gerade in der Bibel, auch die Zeichen der Zeit sprechen für dieses Buch. Alle diese Anstaltungen für ihre Vorbereitung sprechen für das Erhabene ihrer Offenbarung und weisen den Zweifler wie den Indifferantisten mit Nachdruck in die Schranken zurück. Alles muß somit darauf hinwirken und dem
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glühendsten Gefühlen der Liebe und den lebendigsten Gedanken an das Werk, was nun gekrönt werden sollte, erfüllt seyn. Daher bedarf es hier so wenig einer Erklärung durch Transsubstation als durch die Wort: das bedeutet. Man lasse diesen Worten ihre Gestalt, und diesen Sinn, und denke dabei an den Ausspruch in Göthe’s […]:
„Am beßten thut ihr schwört auf des Meisters Worte, dann geht ihr durch die sichere Pforte zum Tempel der Gewißheit ein.“
In diesem Geiste seien dann auch die Worte gesprochen und abgefaßt, welche bei der Ueberreichung des Brodes und Weines bestimmt sind. Der Streit über Hostie und Brod wird nicht so bedeutend seyn, wenn wir nur den rein geschichtlichen Gedanken auffassen, daß sich Jesus der jüdischen Opferkuchen bedient hat. Diese gleichen in ihrer Substanz unseren Hostien
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nur daß wir sie nicht, wie die Refomirten ihr Brod, brechen.
Dies sind meine geringen Beitäge welche ich zu diesem Zwecke entworfen habe. Aus Mangel an Zeit durften sie so dürftig ausfallen. Sie sind nur, was sie seyn konnten, subjektive Ansichten und Beiträge, folglich können sie nur auf teilweisen Beifall Anspruch machen. Viel neues konnten sie nicht enthalten, weil der Gegenstand selbst schon das Nachdenken sovielen großen Köpfen vor uns in Thätigkeit gesetzt hatte. Ich schließe nochmals mit dem guten Wunsche für die gute Sache: daß der Geist der Einigkeit und Liebe die Partheien zum schönsten Ziele Ihrer Vereinigung leiten möge.
Lütgendortmund, den 7ten Aprill 1817 Hennecke Prediger
Transkription Claudia Seyfried