Der Pfarrkonvent des Kirchenkreises Dortmund hat auf Initiative des Superintendenten Fritz Heuner am 8. November 1954 eine öffentliche Erklärung verabschiedet, die von der großen Mehrheit der Theologen des Kirchenkreises namentlich unterzeichnet ist.

Darin sprechen sich die Unterzeichner gegen eine militärische Aufrüstung im Osten wie im Westen aus. Mit Bezug auf die Weltkirchenkonferenz in Evanston, bei der wenige Monate zuvor Vertreter aus 163 Kirchen zusammengekommen waren, wird ein Verbot aller Atom- und Wasserstoffbomben gefordert. Die geplante Wiederaufrüstung Westdeutschlands gefährde den Frieden und eine künftige Wiedervereinigung Deutschlands.

Wir bitten und ermahnen die deutschen Regierungen in Ost und West und unser ganzes Volk, solange es noch Zeit ist, durch Verhandlungen und nicht durch Rüstungen einen Beitrag für den Frieden unter den Völkern zu leisten.“

Die Dortmunder Erklärung fällt in die Zeit zwischen Unterzeichnung (Oktober 1954) und Ratifizierung der Pariser Verträge (Februar 1955), in denen die Westalliierten das Besatzungsregime beenden und der Bundesrepublik mehr staatliche Souveränität sowie begrenzte Schritte zur militärischen Landesverteidigung und zum NATO-Beitritt einräumen.

In Politik und Öffentlichkeit entwickelt sich eine lebhafte Debatte zwischen Gegnern und Befürwortern der Wiederaufrüstung. Innerhalb der Evangelischen Kirche formiert sich in einzelnen Landeskirchen und auch bundesweit erheblicher Widerstand gegen die Rüstungspolitik der Adenauer-Regierung. Besonders in Kreisen, die sich in der Tradition der Bekennenden Kirche sehen, wird zum Protest und zum Widerstand aufgerufen. Namhafte Theologen wie Martin Niemöller, Helmut Gollwitzer und Hans Joachim Iwand stoßen Protestinitiativen an. Der oberste Repräsentant der westfälischen Landeskirche, Präses Ernst Wilm, schließt sich ebenfalls der Protestbewegung an und wendet sich gegen den „Ungeist des Militarismus“.

Die Landessynode der Evangelischen Kirche von Westfalen hatte bereits zwei Wochen vor der Dortmunder Erklärung eine Entschließung zu den internationalen Spannungen verabschiedet, in der sie sich die Erklärung der Weltkirchenkonferenz in Evanston zu eigen machte und die westfälischen Kirchengemeinden aufrief, die Thematik in Arbeitsgruppen der Gemeinden zu besprechen.

Innerhalb der Rheinischen Kirche hatte die „Kirchliche Bruderschaft im Rheinland“ in den ersten Novembertagen bei ihrer Tagung in Leverkusen sich ebenfalls öffentlich von der geplanten Wehrgesetzgebung und Wiederaufrüstung distanziert.

Die Unterzeichner

Die Initiatoren der Dortmunder Erklärung, Superintendent Fritz Heuner, und Oberkirchenrat Heinz Kloppenburg, der seit Oktober 1953 in Dortmund mit katechetischen und sozialen Fragen beauftragt war und an der Weltkirchenkonferenz in Evanston teilgenommen hatte, gehörten zu den herausragenden Persönlichkeiten der Bekennenden Kirche, die nun entschieden für Frieden und Abrüstung eintreten. Heuner hatte als Soldat/Offizier in beiden Weltkriegen insgesamt acht Jahre Kriegsdienst erlebt.

In den vorliegenden Archivalien ist aber auch ein sechseitiger Brief mit dem ablehnenden Votum eines Dortmunder Pfarrers enthalten. Der ehemalige „Ostpfarrer“ Werner Marienfeld, der in der Germania-Siedlung in Dortmund-Marten als Gemeindepfarrer tätig ist, begründet ausführlich, warum er sich von der Erklärung distanziert (Auszug):

Verbreitung

Die Erklärung vom 08.11.1954 wurde von der Superintendentur versandt u.a. an den Bundespräsidenten, an Mitglieder des Bundestages, an die Evangelische Kirche von Westfalen, an benachbarte Kirchenkreise und an interessierte Kontaktpersonen, die ebenfalls in Friedensfragen engagiert waren. Darüber hinaus verschickte der Westfälische Bruderrat die Erklärung an alle Pfarrer der westfälischen Landeskirche.

Reaktionen

Aus dem politischen Raum kommt vor allem aus den Reihen der CDU heftige Kritik. Die Hagener Bundestagsabgeordnete Dr. Luise Rehling wirft Superintendent Heuner Anmaßung vor, wenn Pfarrer ohne entsprechende Sachkenntnis den politischen Entscheidungsträgern Ratschläge geben. „Sie machen sich eines Übergriffs in ein fremdes Amt schuldig.“ Sie könne sich des peinlichen Eindrucks nicht erwehren, daß hier der plumpe Versuch gemacht werden solle, in die evangelischen Gemeinden erneut die Vorstellungen der Gesamtdeutschen Volkspartei zu infiltrieren. Den Pazifismus in der Kirche sieht sie in der Tradition der „Schwarmgeisterei“.

Ihr Fazit: „…daß mir solch ein massiver und unverhüllter Versuch der Klerikalisierung der Politik…in meiner ganzen politischen Arbeit bisher noch nicht begegnet ist. Ich werde ihn als einen solchen in der Öffentlichkeit brandmarken, wo immer ich Gelegenheit habe.“

Brief Dr. Rehling an Superintendent Heuner vom 06.12.1954 (Auszug)

Innerhalb der CDU/CSU übernimmt insbesondere der „Evangelische Arbeitskreis der Christlich-Demokratischen/Christlich-Sozialen Union“ die Aufgabe, zu den kritischen protestantischen Stimmen zur Wiederaufrüstung Stellung zu beziehen. Die westfälisch-lippische Untergliederung des Arbeitskreises verabschiedet Anfang Januar 1955 in Hamm eine Entschließung, in der u.a. Superintendent Heuner und Präses Wilm Amtsmissbrauch vorgeworfen wird.

Die positiven Stimmen zur Dortmunder Erklärung sind sehr viel zahlreicher als die kritischen Voten. Einzelpersonen, Institutionen und etliche Theologiestudenten und Pfarrer aus dem gesamten Bundesgebiet erklären ihre Zustimmung zu der Verlautbarung vom 8. November 1954 und zu der einen Monat später von Dr. Joachim Beckmann, Düsseldorf, und anderen versandten Eingabe an die Abgeordneten des Bundestages.

Ernst Achenbach, Superintendent des Kirchenkreises Siegen
Erklärung Kirchenkreis Hamm

Eine anonyme Zuschrift aus Freiburg (Breisgau) – Auszug

Die ausgewählten Archivalien sind dem Landeskirchlichen Archiv in Bielefeld-Bethel, Bestand 4.245 (KK Dortmund vor 1960) entnommen.

Geschrieben von Kirche-und-Zeit