Zu den historischen Raritäten, die in der Bibliothek des Kirchenkreises verwahrt werden, gehört ein gut erhaltenes Exemplar des Buches von Johann Lund: Die Alten Jüdischen Heiligthümer…, Hamburg 1711. Dieser Foliant ist insofern ein wichtiges Zeugnis jüdisch-christlicher Geschichte, als der Autor nicht nur biblische Texte heranzieht, sondern auch jüdische Literatur und Werke christlicher Hebraisten seiner Zeit benutzt. Die Bemerkungen über das jüdische Leben um 1700, die er gelegentlich einfließen lässt, sind zwar aus der Sicht eines lutherischen Theologen verfasst, dennoch mit ihrem Detailreichtum interssante Quellen.
Die wortreiche Titelseite beschreibt neben den heute üblichen Angaben die Gliederung und Zielsetzung des Buches. Hier zunächst die Abschrift:
Die Alten
Jüdischen
Heiligthümer,
Gottesdienste und Gewohnheiten,
für Augen gestellet,
In einer ausführlichen Beschreibung
des gantzen
Levitischen Priesterthums,
Und fünff unterschiedenen Büchern:
Es handelt deren
I. Von der Stiffts-Hütten, dero Verfertigung, Geräthen, Versetzung, so wol in der Wüsten, als im Lande Canaan: und wo sie endlich geblieben;
II. Von dem Tempel, so wohl dem ersten als dem anderrn; von dessen Erbauung, Gestalt, Pracht, Geräthe, etc. und zweymahliger Verstörung;
III. Von den Hohen- und andern Priestern, deren Kleidern, Salbung, Amte, und allen Verrichtungen bey der Stiffts-Hütte und des Tempels;
IV. Von den Leviten, deren Ursprung, und Aemtern zur Zeit der Stiffts-Hütte und des Tempels; auch was sie mit den Priestern im Amte gemein gehabt; wie auch von beyder Einkünfften und Verpflegung;
V. Von dem täglichen Gottes-dienst der alten Hebräer, in und ausser der Stiffts-Hütte und Tempel; dero Wochen-Monat- und Jahr-Festen;
Dis Werck,
Dergleichen in Teutscher Sprache noch niemahls heraus gegeben worden:
Zeiget alle und jede der alten Jüden heilige, wie auch andere Gebräuche umständlich und gründlich; weiset, wohin solche gezielet; und machet durch Behülffe so wol der glaubwürdigsten Jüdischen, als vieler hochgeachteten Christlichen Scribenten, alles so deutlich,
Daß es nicht nur zum Verstande Heil. Schrifft grosses Licht geben, und gleichsam als ein Schlüssel derselben nützlich gebraucht werden; sondern auch männiglichen, wes Standes er sey, wegen vieler darinnen vorkommenden curieusen Sachen, zur historischen Ergötzung dienen kann.
Ist mit zierlichen, und zur Erleuterung helffenden Figuren; wie auch aller Capitel wolgefasseten Summarien und Marginalien, vermittelst dreyzehenjähriger Mühe und Forschung sorgsam ausgearbeitet durch
JOHANNEM LUNDIUM,
Treuen Diener am Wort GOttes zu Tundern im Herzogthum Schleßwig,
Und nunmehro nach des Seel. Autoris eigenem Manuscripto fleißigst ausgefertiget, nebst beygefügten fünff nothwendigen und vollkommenen Registern.
Samt einen Vorbericht
(Tit.) Hn. Henrici Mulii, S.S. Theol. D. und P.P. Hoch-Fürstl. Holst. Gottorff. General-Superintendenten, Ober-Hof-Prediger, Kirchen-Rat und Probsten.
Hamburg, im Jahr Christi 1711.
Verlegts Johann Wolffgang Fickweiler, Buchhändler im Dohm.
Der Verfasser Johann Lund (1638-1686) war lutherischer Pfarrer und Hebraist. Seine Kenntnisse als Hebraist und Orientalist hat er an der Universität Leipzig erworben. Seine wissenschaftlichen Arbeiten zur Geschichte der „Jüdischen Heiligthümer“ wurden posthum von seinem Sohn Thomas Lund 1695/96 erstmals herausgegeben. Wie bereits die Titelseite des Buches erkennen lässt, ist das Werk in „dreizehnjähriger Mühe und Forschung“ des Autors entstanden, während seiner Zeit als Pfarrer in Tondern, Schleswig (Heute gehört Tondern zu Dänemark).
Das in der Bibliothek des Evangelischen Kirchenkreises Dortmund vorhandene Exemplar entstammt einer weiteren Auflage aus dem Jahr 1711, die von Heinrich Muhlius (1666-1733) herausgegeben wurde. Muhlius war Generalsuperintendent im Herzogtum Holstein-Gottorf und Professor an der Universität Kiel.
Muhlius betont in seiner ausführlichen Vorrede zum Buch die enge Beziehung von Altem und Neuem Testament. Jesus und die Apostel beziehen sich immer wieder auf die Gebete, die Riten und Zeremonien des Alten Testaments. Wer das Priestertum und den Gottesdienst des alten Israel nicht kennt, „wie will der verstehen, was Christus von den Gaben-Opfferen auff dem Altar, vom Sabbath, Festen, Aussatz, Ehe usw. redet“. Bei der Vermittlung der jüdischen Gebräuche an christliche Gemeinden gehe es darum, „daß nicht nur die äusserliche Schalen, sondern fürnemlich der Kern fürgeleget werde“.
Johann Lund selbst wird in seiner christozentrischen Deutung des Alten Testaments noch deutlicher: In den jüdischen Zeremonien, Bildern und Figuren ist Jesus Christus „so gar schön und artig abgebildet“. Die Juden selbst können das nach seiner Auffassung in der Regel nicht erkennen, weil „die Decke Mosis noch für ihren Augen hänget“. Vom christlichen Glauben her lässt sich in dem levitischen Priestertum und seinen Gebräuchen bereits das Vorbild, die Verheißung des Kommenden erkennen. Um ein genaues Bild des damaligen Gottesdienstes zeichnen zu können, hält es der Autor für erforderlich, neben den biblischen Texten, die er für unfehlbar hält, auch die jüdischen Schriften der „Hebräer“ hinzuzuziehen. In diesem Zusammenhang stellt er mit Bedauern fest, dass der Talmud bisher nur zu einem Teil in Übersetzung vorliege. Er selbst habe keine Kosten und Mühen gescheut, sich die jüdische Literatur zu besorgen und sie zu studieren.
Eine zentrale Rolle in Lunds Opus spielen die zahlreichen Abbildungen, die er für das Verstehen des Inhalts für unentbehrlich hält und die sein Buch einzigartig machen. Der Autor selbst hat viel Mühe darauf verwandt, diese „Abrisse“ – wie er sie nennt – zu zeichnen. „Hierinn habe ich durch Gottes Gnade keinen geringen Vortheil gehabt, indem ich selbsten habe zeichnen und reissen können“. Zur endgültigen Bearbeitung hat er sie dann einem „hiesigen Mahler“ gegeben, der seine Werke für das Buch signiert: „J.W. Michaelis“, also der angesehene Kupferstecher Johann Wilhelm Michaelis (1637-1737), dessen Kunstwerke bis heute Museen in aller Welt ausstellen.